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Nachbericht: Bin ich gut?

21. Dezember 2016

Foto: Andreas Hantschke
Foto: Andreas Hantschke
v.l.n.r. Paul Rajakovics, Michael Grill, Stephanie Heinzeller (Moderation), Alexander Wetzig, Andreas Reich

Ein Disput zur Stadtbaukunst
Am 12. Dezember 2016
Im Haus der Architektur der Bayerischen Architektenkammer

„Wie wollen wir leben?“ Mit dieser bekannten Fragestellung des dänischen Städtebauers und Urbanisten Jan Gehl eröffnete Karlheinz Beer, 2. Vizepräsident der Bayerischen Architektenkammer, den vielgestaltigen Vortrags- und Diskussionsabend. Doch wann ist ein Stadtteil gelungen, was bedeutet urbane Lebensqualität? Für Jan Geel ist der Gradmesser denkbar einfach: „schauen Sie wieviele Kinder und alte Menschen auf öffentlichen Plätzen sind!“

Dass die Umsetzung gelungener Stadträume in der Praxis jedoch nur selten gelingt, beunruhigt die Arbeitsgruppe Städtebau des BDA Bayern, die sich 2013 gründete und schwerpunktmäßig Themen der Stadtentwicklung und des Stadtumbaus widmet. Akteure der AG Städtebau sind Christian Bodensteiner, Michael Gebhard, Fritz Hubert, Wolfgang Kuchtner, Hermann Moser und Josef Rott. Sie wählten drei gelungenen Best Practice Beispiele aus, um durch den direkten Vergleich die Strukturen zu diskutieren, die hinter erfolgreichen Realisierungen stehen – mit dem Ziel aus den Lerneffekten allgemein anwendbare Empfehlungen für Planungsstrategien für die Zukunft ableiten zu können.

Die Projekte könnten unterschiedlicher nicht sein: Die Neue Mitte in Ulm, ein innerstädtisches Geschäfts- und Kulturzentrum mitten auf der ehemaligen Stadtautobahn, das neue, hoch verdichtete Wohnquartier »Stadtwerk Lehen« im Salzburger Westen und die Einfamilienhaussiedlung »Neues Bauen am Horn« am Rand von Weimar mit unmittelbarer Nähe zum gleichnamigen Musterhaus der ersten Bauhaus-Ausstellung aus dem Jahr 1923.

Als erster stellte Ulms ehemaliger Baubürgermeister Alexander Wetzig sein Projekt der Neuen Mitte Ulm vor. Wo von 1952 bis 1997 die vielspurige Neue Straße mitten durch die im zweiten Weltkrieg zerbombte Altstadt schnitt und das historische Rathaus vom Münster trennte, vermitteln heute markante Baukörper wieder das ehemalige mittelalterliche Raumgefühl. Was heute so selbstverständlich wirkt, ist das Ergebnis einer zwanzigjährigen Planung, bei der der Protest der Bürger einen entscheidenden Einfluss auf die erreichte Qualität hatte. Trotz des anfänglichen vehementen Bürgerprotestes kam es in Ulm nicht zu einer anhaltenden Protesthaltung wie bei Stuttgart 21 sondern zu einem kooperativen Verfahren. Wichtig war dabei für Wetzel das Vorgehen der Stadt: Nachdem die Bürger 1975 eine komplette Untertunnelung der Stadtautobahn abgelehnt hatten, legte sie keine Alternativpläne vor, sondern definierte in einem vierjährigen Diskussionsprozess im Rahmen des »Innenstadtforums« mit allen Beteiligten erst einmal die Ziele. Das Ergebnis: Auch ohne Untertunnelung passieren heute 15000 Fahrzeuge täglich die Straße, allerdings mit Tempo 20 und gleichberechtigt mit allen anderen Verkehrsteilnehmern.

Paul Rajakovics vom Architekturbüro transparadiso aus Wien stellte bei seinem Projekt »Stadtwerk Salzburg« die Bedeutung des Erdgeschosses für den öffentlichen Raum in den Vordergrund. Mit dem Neubau für die Galerie Fotohof, einer der wichtigsten Institutionen für Fotografie in Österreich, wird nicht nur internationales Fachpublikum in das Quartier gezogen, mit zahlreichen Workshops ist die Galerie auch ein sozialer Anlaufpunkt für die Bewohner. Ein Café im Hochhaus und 1200 m² für soziokulturelle Nutzungen unterschiedlicher NGOs auf weiteren Erdgeschossflächen beleben dort das Quartier, ohne Geschäften des freien Marktes Konkurrenz zu machen. Bei einem Anteil des geförderten Wohnungsbaus von 80 Prozent zahlen sich sich diese Investitionen in der Praxis aus.

Andreas Reich schließlich konnte beim »Neuen Wohnen am Horn« in Weimar seine Erfahrungen nicht nur als Architekt, sondern auch als Bauherr einbringen. In Anlehnung an die kubische Architektursprache des Bauhauses gab dort Adolf Krischanitz nach langer Vorarbeit von Walter Stamm Teske der Bauhausuniversität Weimar ein strenges Regelwerk vor, das der Beliebigkeit üblicher Einfamilienhaussiedlungen Einhalt gebietet und trotzdem eine Vielfalt an geschlossener und offener Bauweise befördert.

Stephanie Heinzeller vom Bayerischen Rundfunk moderierte den Abend souverän und überlies dem Journalisten und Geschäftsführer der Theatergemeinde Michael Grill nach jedem Impulsvortrag eine erste Kritik.

Dessen Schlusswort richtete sich an seine Kollegen und den BDA gleichermaßen: „Journalisten haben immer weniger Zeit, um sich intensiv mit Städtebauthemen zu beschäftigen. Architekten können die besten Pläne zeichnen. Ohne die Medien als Vermittler und eine aktive Öffentlichkeitsarbeit kommt das in der Gesellschaft und bei der Politik nicht an.“

Die Veranstaltung »Bin ich gut?« brachte viele Erkenntnisse zu den Hintergründen und Planungsprozessen der vorgestellten Projekte, deren Fertigstellung schon einige Jahre zurück liegt. Eine gelungene Fortsetzung der Podiumsdiskussion »Bin ich schön?« vom November 2014, die den Schwerpunkt auf gestalterischen Aspekten hatte.

Foto: Andreas Hantschke
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Einführende Worte von Karlheinz Beer, 2. Vizepräsident der Bayerischen Architektenkammer

 

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Neue Mitte Ulm vorgestellt von Alexander Wetzig, Baubürgermeister a.D., Ulm

 

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Neues Wohnen am Horn in Weimar vorgestellt von Andreas Reich, Architekt BDA, Weimar

 

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Stadtwerk Lehen, Salzburg vorgestellt von Paul Rajakovics, transparadiso ZT KG, Wien und Kritik durch Michael Grill, Redakteur, München

 

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Diskussion mit dem Publikum

 

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1. Reihe v.l.n.r. Arbeitsgruppe Städtebau: Josef Rott, Michael Gebhard, Christian Bodensteiner sowie Lydia Haack, neue Landesvorsitzende und Anne Steinberger

 

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Josef Rott, Arbeitsgruppe Städtebau im Gespräch

 

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Michael Gebhard, Arbeitsgruppe Städtebau im Gespräch

 

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Prof. Ferdinand Stracke (ganz rechts) im Gespräch