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Nachbericht: Vortragsreihe – Die Zukunft der Städte

30. März 2017

 

Angesichts des dramatischen gesellschaftlichen und technischen Wandels stellt sich die Frage nach der Zukunft der Städte mehr denn je. Umso bedeutender ist es, dass Architekten und Planer als Gestalter der Umwelt im Vorfeld in die Diskussion miteinbezogen werden. Deshalb hatte der Deutsche Werkbund Bayern e.V. in Kooperation mit dem BDA Bayern zwei der bedeutendsten Institute – den Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) und die Stiftung DenkwerkZukunft – eingeladen, ihre Analysen und Empfehlungen vorzutragen und diese in anschließenden Diskussionen mit Vertretern aus der Architekten- und Stadtplanerschaft zu erörtern.

Beim 1. Vortrag „Die transformative Kraft der Städte“ führte Dr. Inge Paulini, Generalsekretärin des WBGU durch die Ansätze und Empfehlungen des WBGU für die Transformation zu einer nachhaltigen Welt-Städte-Gesellschaft, ein Beitrag des Beirats zur Habitat III 2016.
Bis 2050 werden die Stadtbewohner von derzeit 4 Mrd. Menschen auf 6,5 Mrd. anwachsen, fast die Hälfte werden zu den Slum-Bewohnern zählen. Wie man ein gutes Leben für alle sichert, wird zur großen Herausforderung. Der WBGU sieht die „Transformative urbane Governance“ als wichtige Voraussetzung erfolgreichen kollaborativen Handelns.
Der WBGU hat dazu einen normativen Kompass aufgestellt: Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen, Teilhabe der Bewohner, ausgehend von der Eigenart der Städte, um Lebensqualität, Selbstentfaltung und Ortsidentität zu sichern. Die Städte zögen ihre Kraft aus der immer breiteren Handlungsbereitschaft der kommunalen und zivilgesellschaftlichen Akteure. „In „Eigenart“ stecke auch „Eigeninitiative“, so Dr. Inge Paulini, allerdings müsse diese dramatisch schnell in Gang kommen; in Bezug auf das Klima gäbe es keine Zeit zu verlieren.
Die beiden Mitdiskutierenden, die Münchner Stadtbaurätin Prof. Dr. (I) Elisabeth Merk und Prof. Dr. Ingrid Krau, ehemalige Inhaberin des Lehrstuhls für Stadtraum und Stadtentwicklung der TU München, teilten die Vorstellung von Zeitdruck prinzipiell. „Unsere Effizienzvorstellungen beruhen aber auf funktionierenden Institutionen; gerade Selbsthilfeprojekte benötigten aber Zeit zu lernen.“, so Prof. Dr. Ingrid Krau. Frau Prof. Dr. Merk betonte „unsere Aushandlungsprozesse beanspruchten Zeit, die die rasante Entwicklung Münchens kaum noch zulasse. Es brauche ergänzende Strategien, die lokale Wirtschaft, besonders die Großen, für kooperative Governance zu gewinnen.“
In der nachfolgenden lebhaften Diskussion mit dem Publikum regt Frau Prof. Lydia Haack, Landesvorsitzende des BDA Bayern, an, die WBGU möge bei solch wichtigen Themen zur Zukunft der Städte künftig auch Architekten und Planer mit einbeziehen.

Die Kurzfassung, wie auch die Langfassung des WBGU-Berichts „Der Umzug der Menschheit: Die transformative Kraft der Städte“ kann über www.wbgu.de heruntergeladen werden.

Deutscher Werkbund Bayern e.V.
Deutscher Werkbund Bayern e.V.
v. l. n. r. Stefanie Wahl, Tilman Latz, Prof. Lydia Haack, Horst Haffner

Der 2. Vortrag von Frau Stefanie Wahl, Geschäftsführerin von DenkwerkZukunft – Stiftung kulturelle Erneuerung, bezog sich auf das Memorandum „Lebenswerte Städte unter Bedingungen sinkenden materiellen Wohlstands“, das 2012 von namhaften Wissenschaftlern und Stadtplanern mit ihr zusammen verfasst worden war. Wahls Thema waren – im Gegensatz zu Paulinis primär globaler Betrachtung – die deutschen Städte, die heutzutage große Herausforderungen zu bewältigen haben.

Die zurückliegenden 65 Jahre sind, so Wahl, von beispielloser Wachstums- und Wohlstandsentwicklung geprägt gewesen, allerdings auch von der irrigen Annahme, dass die Zukunft immer ertragreicher sein wird als die jeweilige Gegenwart. Der Großteil unseres gegenwärtigen materiellen Wohlstands ist teuer erkauft: Er beruht auf Überforderung, auf Raubbau an Natur, Umwelt, Mensch und Gesellschaft. Unser Wirtschaftswachstum dient zunehmend dazu, die entstandenen Schäden zu reparieren und künftigen Belastungen vorzubeugen. Auf diese vom Raubbau gespeisten wirtschaftlichen Schubkräfte wird man verzichten müssen. Statt Verbrauch sind achtsamer Gebrauch sowie Innovation, gepaart mit Phantasie, Arbeitsamkeit, weiser Beschränkung und Bereitschaft zum Teilen mit anderen gefordert.

Die Gesellschaft und ihr Umfeld wandeln sich. Unsere Bevölkerung schrumpft und altert, Migration nimmt zu, Ungleichheit wächst, der Wettbewerb wird schärfer. Die Digitalisierung verändert Menschen und Städte. Deshalb braucht es den kulturellen Wandel hin zu mehr Nachhaltigkeit, einen Umbau der Städte und erneuerten Bürgersinn, geprägt von Gemeinwohlorientierung, gesellschaftlichem Zusammenhalt und Identifikation mit der eigenen Stadt. Qualitätvolle Gestaltung kann hierzu wesentlich beitragen, insbesondere im öffentlichen Raum. Er kann die Voraussetzung schaffen für Kommunikation, Kooperation, Wohlgefühl, Geborgenheit und Heimatempfinden, sofern er wohnungsnah und durch gut erreichbare Gemeinschaftseinrichtungen ergänzt, durchgrünt, vom motorisierten Verkehr, Kommerz und Werbemüll befreit ist sowie vielfältige Freizeit- und Kulturaktivitäten erlaubt.

Werden nichtmaterieller Wohlstand, Identität mit der Stadt und Bürgerbeteiligung gestärkt, resumierte Wahl, braucht der Rückgang materiellen Wohlstands nicht mit dem Verlust an Lebensqualität einherzugehen. Lebensqualität erwächst dann vermehrt aus den immateriellen Potenzialen von Urbanität. Diese müssen allerdings breitesten Schichten der Bevölkerung erschlossen werden.

In der anschließenden Diskussion mit Prof. Lydia Haack, Landesvorsitzende des BDA Bayern, und Tilman Latz, Landschaftsarchitekt, Architekt und Stadtplaner, plädierte Latz für neue Qualitäten im öffentlichen Raum, weg von der einseitigen Angebotskultur und hin zu mehr Offenheit zu Gunsten von unterschiedlichen Nutzern und Nutzungsmöglichkeiten. Dazu gehöre auch das Nachverdichten ehemaliger Stadtrandlagen, um eine polyzentrische Stadtentwicklung mit resilienten Strukturen und nachhaltigem Bürgersinn zu ermöglichen. Ganz wichtig sei der massive Ausbau des öffentlichen Verkehrs. Hier müsse man überholte Denkweisen ebenso überwinden wie beim Denkmal- und Naturschutz. Gerade im Hinblick auf die Probleme in den „Speckgürteln“ sei ein Blick auf die Vorbilder in Kopenhagen, Lyon oder Oslo sinnvoll.

Prof. Lydia Haack stellt eingangs die notwendige Verknüpfung von Partizipation und dem Prinzip der Verantwortung in den Vordergrund. Engagement und Beteiligung sei für das Gemeinwesen unverzichtbar – könne aber nur funktionieren, wenn langfristig auch von allen Beteiligten Verantwortung übernommen werde. Auf der anderen Seite stelle sich die Frage, wie die Architektenschaft noch Verantwortung für bauliche Qualität übernehmen könne, wenn sie Rahmenbedingungen unterliege, die dies nicht immer möglich machen oder zumindest erschweren? Unzählige Standards, Normen und Bedingungen, allesamt durch eine lange Zeit des Wohlstandes in unserer wachstumsorientierten Gesellschaft entstanden, konterkarieren nun innovative Ideen und notwendige Veränderungen. Es wäre langfristig wichtig, diese Regelwerk kritisch zu durchleuchten und zu hinterfragen um Handlungsspielräume für Bauherren und Planer zu schaffen, so die BDA-Landesvorsitzende Haack.

Horst Haffner wies auf die Chancen hin, die in den erstarkten neuen Wohnungs-Genossenschaft liegen, weil sie nicht nur kooperativ und sozial eingestellt sind, sondern auch mit Gemeinschaftsräumen und örtlichen Aktivitäten positiv in ein Stadtquartier hineinwirken.