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Nachbericht: Finissage + Diskussion im Kreativquartier in München

24. Januar 2018

Stadt verhandeln! Urbane Projektentwicklung im Kreativquartier München
Ein Abend unter Mitwirkung lokaler Akteure
16. Januar 2018, 18 Uhr Kreativquartier, München

Das Kreativquartier – einzigartig in ganz Europa, aber nach deutschen Standards nicht umsetzbar?
Mit dem Konzept der schrittweisen Ergänzung der bestehenden Gebäude durch eine Mischung aus Wohnen, Arbeiten und Kultur hat das Architektenteam Teleinternetcafe aus Berlin bereits vor sechs Jahren den Ideenwettbewerb für das Kreativquartier gewonnen. Außer dem übereilten Abriss der so genannten Lamentohalle entlang der Dachauerstraße im vergangenen Jahr scheint sich nicht viel auf dem 20 Hektar großen Gelände getan zu haben. Der anfänglichen Begeisterung auf allen Seiten ist schnell die Erkenntnis gewichen, dass die konsequente Realisierung dieses unkonventionellen Entwurfs unter Einhaltung geltender Standards nur schwer genehmigungsfähig sein wird. In der Diskussion steht nicht das gesamte Areal, dessen Entwicklung die Wettbewerbsgewinner in vier Abschnitte unterteilt haben. Entlang der Dachauerstraße wird als erster Aktivator das Gründer-und Innovationszentrum der von der BMW-Erbin Susanne Klatten gegründeten UnternehmerTUM errichtet. Der Abschnitt »Feld« ist bereits gesetzt, die Grundstücke für die Wohnungsbauten werden wohl noch dieses Jahr vergeben. Der »Park« mit der historischen Tonnenhalle und der Jutierhalle ist vorwiegend wegen Brandschutzthemen und dem Nutzungskonzept ein Thema. Der kritische Quadrant ist vielmehr der Abschnitt »Labor«, wo die maximale Nutzungsmischung aus Alt- und Neubauten die eigentliche gemischte Kreativzone des Quartiers bildet.

Ein Grund für die Verzögerungen sind hier die zahlreichen geltenden Regeln und Standards, die das bunte Neben- und Übereinander unterschiedlicher Nutzungen in zum Teil alten Gewerbegebäuden zu verwässern oder gar zu vereiteln drohen. Anlass genug für den BDA Bayern bei Politik, Verwaltung und Künstlern nachzufragen, wie die aktuelle Stimmung, wie weit die vom Stadtrat beauftragte Suche nach einem Betreiber und wie weit die planungsrechtliche Entwicklung des Quartiers tatsächlich gediehen sind. Der Rahmen für die lebhafte und aufschlussreiche Diskussion mit überraschenden Neuigkeiten seitens der Stadt hätte besser nicht sein können. Die Veranstaltung war die Finissage der BDA-Ausstellung »Neue Standards. Zehn Thesen zum Wohnen«, die auf ihrer bundesweiten Tournee seit dem 25. November in der Halle 6 des Kreativquartiers Station bezogen hatte.

»Ich habe diese Ausstellung bereits an vier anderen Standorten gesehen, aber nirgends war die Atmosphäre so magisch wie hier.« führte Rainer Hoffmann von bogevischs buero und BDA Kreisvorsitzender München-Oberbayern in das Thema ein. Gemeinsam mit Andreas Krauth von Teleinternetcafe moderierte er den Abend. »Das ist doch der beste Beweis, dafür, dass gerade alte Gebäude, die nach unseren heutigen Regeln technisch nicht perfekt sind, andere, viel wichtigere Qualitäten haben.«. Tatsächlich fühlten sich die ca. 100 Zuhörer auf den knallroten Ausstellungsmöbeln auffallend wohl und blieben bis zum Ende der zweistündigen, äußerst kurzweiligen und informativen Veranstaltung aufmerksam dabei. Nach den Begrüßungen der BDA Landesvorsitzenden Lydia Haack und Katharina Wolfrum vom Quartiersbüro Labor München e.V., führte der Co Kurator der Ausstellung Olaf Bahner vom Bundes BDA in sein Ausstellungskonzept ein und stellte die Positionen der zehn ausstellenden Architekturbüros vor. Einer der zehn, Matthew Griffin von Deadline Architects, spannte den Blick über Münchens Tellerrand hinaus, indem er internationale, dem Kreativquartier vergleichbare Projekte kurz vorstellte. Detaillierter ging er auf den Entstehungsprozess seines eigenen Projekts »Fritz 23« auf einem Berliner Mauergrundstück ein, das ebenfalls den Namen KUK Kunst und Kreativquartier trägt. Ausnahmsweise wurde das Grundstück nicht meistbietend, sondern in einem Konzeptausschreibungsverfahren vergeben, bei dem die Qualität des Konzepts mit 60 % und der Preis mit 40 % zubuche schlugen. Die Architekten agierten gleichzeitig als Projektmanager dieser deutschlandweit ersten kulturgewerblichen Baugruppe. Zur Erstellung des Raumprogramms fragten sie nach den Bedürfnissen der ansässigen Bewohner und Künstler des Kiezes, anstatt aufgesetzte Konzepte durchzudrücken. Nach jahrelanger Überzeugungsarbeit wird der Bau mit Hotel und Minilofts Mitte 2018 fertiggestellt sein.
Die Praxis der Mitbestimmung der Nutzer könnte auch für das Münchner Kreativquartier zum Vorbild werden, angesichts der Tatsache, dass in den meisten neuen Quartieren, die aus kulturellen Zwischennutzungen hervorgegangen sind, die Künstler zwar als Pioniere gern gesehen sind, nach Fertigstellung aber von der Teilhabe ausgeschlossen werden. Im Unterschied zu München wurde das Grundstück von Fritz23 in Erbpacht erworben und auf Basis eines bestehenden Bebauungsplans realisiert, was die Planungs-und Bauprozesse vereinfacht hat.

Im Anschluss stellte Andreas Krauth die wesentlichen Bestandteile seines siegreichen Wettbewerbsentwurfs von 2012 für das Kreativquartier in München vor, und bot damit den direkten Einstieg in die Diskussion:

Eine überraschende Neuigkeit gab Axel Marquardt vom Kommunalreferat gleich zu Beginn bekannt: Erst vor wenigen Tagen stimmte der Stadtrat der Entscheidung zu, die MGH als Verwaltungsgesellschaft des Kreativquartiers direkt zu beauftragen, um schneller und reibungsloser die künftige Entwicklung betreiben zu können. Dabei hatte derselbe Stadtrat vor eineinhalb Jahren die Verwaltung beauftragt eine öffentliche Ausschreibung auszuarbeiten. »Die MGH Münchner Gewerbe Höfe ist mit der Verwaltung solcher Flächen bestens vertraut, aber natürlich muss sie sich personell und inhaltlich für die viel weiterreichenden Aufgaben im Kreativquartier neu strukturieren und erweitern. « erläuterte Andreas Uhmann vom Planungsreferat die Entscheidung. Der Kritik, dass mit der Direktvergabe private Gesellschaften oder andere Initiativen für Gemeinwohl, die im Bereich der Kulturentwicklung ganzer Areale kompetenter sind, ausgeschlossen werden, konterte Marquardt pragmatisch: »Der NonStandard für das Kreativquartier muss leider nach Standard Regeln umgesetzt werden. Mit all den Zwängen, die ein Bebauungsplan für das Areal mit sich bringen würde, wird das nicht möglich sein. Deshalb wollen wir keinen Bebauungsplan für den Laborbereich des Kreativquartiers. Da wir andere neue Wege gehen müssen, kann es nur hilfreich sein, wenn die Verwaltungsgesellschaft nicht gegen uns arbeitet und da die MGH zum Großteil in städtischer Hand ist, sehen wir eine viel größere Chance unsere hochgesteckten planungsrechtlichen Ziele ohne Konflikte umzusetzen«. Im Publikum stieß die Entscheidung durchaus auf Kritik. »Die MGH ist der Totengräber des Kreativquartiers« hiess es da hinter vorgehaltener Hand. »Wer die MGH kennt, weiß dass sie fähig ist ganz stur Flächen zu verwalten, was wir brauchen ist aber keine Verwaltungsgesellschaft, sondern eine Entwicklungsgesellschaft. Entscheidend ist, dass das Kulturreferat bei der Vergabe der Künstlerräume und beim Programm mitentscheidet.« Und tatsächlich schien die Abwesenheit des Kulturreferats bei der Diskussion ihrer Abwesenheit im Planungsprozess zu entsprechen.

Die weitere Diskussion drehte sich weitgehend um die mangelnde Teilhabe der auf dem Areal arbeitenden Künstler. »Es gibt zwar einen Beirat, in dem auch Vertreter der ansässigen Künstler vertreten sind, aber dieser Beirat hat keinerlei Entscheidungsgewalt« monierte Anna Hanusch, Vorsitzende des Bezirksausschusses Nymphenburg–Neuhausen. Auch der Bildhauer Christian Schnurer, der den Veranstaltungsort Halle 6 mit aufgebaut hat und betreibt, klagte über die mangelnde Transparenz und Kommunikation seitens der Politik. In poetischer Form, die den ganzen Saal rührte, brachte schließlich eine junge Künstlerin den allgemeinen Unmut auf den Punkt: » mit dem Kreativquartier hat München einen Diamanten. Es ist aber die Energie der Leute, die hier seit Jahren arbeiten, die diesen Diamanten am glänzen halten. So langsam schwindet diese Energie, wenn nicht bald etwas passiert «. Durch mangelnde Transparenz, die Unsicherheit, ob sie auf dem Areal bleiben dürfen und unrealistische finanzielle Forderungen, durch hohe technischen Auflagen z. B. an den Brandschutz, bestünde die Gefahr, dass viele Leute, die das Kreativquartier zu dem gemacht haben, was es heute ist, desillusioniert abwandern.

Trotz der offenen Kritik blieb die Grundstimmung bis zum Schluss positiv und wohlwollend. Denn eines machte die Diskussion klar: Der aufrichtige Wille das Kreativquartier auch in der Realität zu einem einzigartigen Pilotprojekt für ganz Europa zu führen war bei allen Beteiligten spürbar. Solange es für so innovative Konzepte keine Standards gibt, müssen die bestehenden Freiräume mit viel Kreativität genutzt werden. Die Standards für einen qualitätvolleren Wohnungsbau zu vereinfachen hat sich der BDA auf die Fahnen geschrieben. Der Wettbewerbsentwurf für das Kreativquartier war 2012 seiner Zeit voraus und fordert das bestehende Baurecht heraus. Gleichzeitig zeigt er auch, dass sich etwas bewegt im Paragraphendschungel: »Sie haben mit Ihrem Entwurf die Baugebietskategorie Urbanes Gebiet vorweg genommen« bedankte sich Andreas Uhmann bei den Architekten von Teleinternetcafe und widerholte: »Jetzt müssen wir nur noch den Non Standard Entwurf nach Standardregeln so gut wie möglich umsetzen«. Das hat bisher sechs Jahre gedauert und wird auch noch eine Weile dauern. Nicht zu unrecht titelte die BDA-Zeitschrift der architekt über das Kreativquartier mit » Entschleunigte Planung«.

Frank Kaltenbach

Veranstaltungshinweis:
Am 25. Januar 2018, 19 Uhr lädt der Bezirksausschuss Nymphenburg/Neuhausen in Kooperation mit dem „Labor München – Entwicklungsgemeinschaft Kreativquartier e.V.“ zum Kulturgespräch ein. Unter dem Titel Subkultur – Hochkultur – Stadtteilkultur? Welche Mischung wünscht sich der Stadtteil für das Kreativquartier? Und wie wird das gemacht? werden die bisherigen Entwicklungen vorgestellt un Ideen für zukünftige Projekte mit VertreterInnen der Stadtverwaltung und ähnlicher Projekte aus anderen Städten diskutiert. Ort: IMAL Halle, Kreativquartier, Schwere Reiterstraße 2, München. Anmeldung: info@ba09.de

 

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Begrüßung durch Prof. Lydia Haack (Landesvorsitzende BDA Bayern) und Katharina Wolfrum (Quartiersbüro Labor München e.V.)

 

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Einführung in die Ausstellung durch Co-Kurator Dr. Olaf Bahner (BDA Bundesverband, Berlin)

 

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Matthew Griffin (Deadline Architects, Berlin) stellte in seinem Kurzvortrag dem Münchner Kreativquartier vergleichbare, internationale Projekte vor

 

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Rainer Hofmann (bogevischs buero und BDA Kreisvorsitzender München-Oberbayern) begrüßte als Moderator des Abends seine Gäste

 

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v. l. n. r. Moderatoren-Team Rainer Hofmann (bogevischs buero, München), Andreas Krauth (Teleinternetcafe, Berlin/München) und Gäste Matthew Griffin (Deadline Architects, Berlin), Christian Schnurer (Bildhauer, Halle 6, München), Anna Hanusch (Vorsitzende Bezirksausschuss Nymphenburg-Neuhausen) und  Andreas Uhmann (Planungsreferat Landeshauptstadt München)

 

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v. l. n. r. Andreas Uhmann (Planungsreferat Landeshauptstadt München), Axel Markwardt (Kommunalreferent der Landeshauptstadt München) und Anna Hanusch (Vorsitzende Bezirksausschuss Nymphenburg-Neuhausen)

 

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v. l. n. r. Andreas Uhmann (Planungsreferat Landeshauptstadt München), Axel Markwardt (Kommunalreferent der Landeshauptstadt München) und Anna Hanusch (Vorsitzende Bezirksausschuss Nymphenburg-Neuhausen)

 

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v. l. n. r. Anna Hanusch (Vorsitzende Bezirksausschuss Nymphenburg-Neuhausen), Matthew Griffin (Deadline Architects, Berlin), Christian Schnurer (Bildhauer, Halle, München). Im Hintergrund v. l. n. r. Rainer Hofmann und Andreas Krauth (Teleinternetcafe Berlin/München)

 

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Junge Künstlerin meldet sich zu Wort: „So langsam schwindet die Energie, wenn nicht bald etwas passiert.“

 

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v. l. n. r. Dr. Olaf Bahner (BDA Bundesverband, Berlin) im Gespräch mit Prof. Lydia Haack (Landesvorsitzende BDA Bayern) beim anschließenden Get-Together