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Offener Brief zu den Äußerungen des CSU-Fraktionsvorsitzenden im Münchner Stadtrat Manuel Pretzl

14. Februar 2018

SZ-Artikel vom 09.02.2018 „Architekturbüros haben zuviel Macht“
Offener Brief zu den Äußerungen des CSU-Fraktionsvorsitzenden Manuel Pretzl

Sehr geehrter Herr Fraktionsvorsitzender Pretzl,

nicht die Empörung hilft, sondern nur die differenzierte Betrachtung!

Wenn ein Politiker, noch dazu in maßgeblicher Funktion im Stadtrat, moderner, spannender und zukunftweisender Architektur zum Durchbruch verhelfen will, lässt dies gerade in München aufhorchen und ist eigentlich ebenso erstaunlich wie begrüßenswert. Wenn diese Ankündigung sich aber in undifferenzierter Betrachtung verliert, wird eine solche Aktion dann doch fragwürdig.

Der Versuch, den Eindruck zu erwecken, dass Architekten es in der Hand hätten, einer Stadt bestimmte Architekturformen aufzuoktroyieren, schlägt fehl. Dass Architektur nicht unabhängig entsteht und Entworfenes einer Unzahl von Satzungen und Reglungen unterliegt, die die Gestaltung und Bauweise unmittelbar beeinflussen, sollte eigentlich jedem klar sein. Beispiele, die jeder kennt, reichen von der Hochhaus- bis zur Vorgartensatzung. Dass weitere unzählige gesetzlichen Vorgaben oftmals unüberwindliche Hürden für innovative Planung darstellen und z. B. Vorhaben, wie die von Ihnen in Bezug genommene Speicherstadt (gemeint ist wohl die Hafencity) in München schon vom Ansatz her unmöglich machen, wird zwar von Seiten des Berufsstands schon lange kritisiert, bisher fand dies aber bei der Politik und auch in der Presse wenig Gehör.
Bereits letztes Jahr hat der BDA Bayern versucht diese Debatte anzustoßen. Neben der Broschüre „Standards im Wohnungsbau“ – einer Kontroverse zur aktuellen Rechtslage – in der die Problematik der Vielzahl an Regularien aufgezeigt wird, die gutes Bauen fast unmöglich machen, wurde im November mit dem ‚Fight Club’ zusätzlich die Umsetzungsproblematik thematisiert. Das ‚System ist festgefressen’ so ein saloppes Fazit. Es bedarf der Anstrengung aller, die lähmende Überregulierung einzudämmen.

Ein öffentliches Plädoyer für Vielfalt und Innovation – auch von Seiten der Politik, endlich!

Dazu von unserer Seite ein klares Ja – verändern Sie die Rahmenbedingungen! Das Korsett, in das Architekten durch Planungs- und Bauordnungsvorgaben eingeschnürt sind, ist zu eng. Auch entstehen Bauten maßgeblich nach Kriterien, die der Bauherr vorgibt. Vor diesem Hintergrund uns Architekten unterstellen zu wollen, sie würden über den Kopf der Stadt hinweg München mit einfältiger Architektur überziehen können, ist also mit Verlaub neben der Sache.

Die Verfahrenskultur zu verbessern – das sollte der Stadt gelingen!

Als Hauptursache für Ihre Feststellungen, dass in München langweilig gebaut wird, nennen Sie, Herr Pretzl, die Architektenwettbewerbe und Durchführungsmodalitäten, die von der Landeshauptstadt München durchgeführt werden.

Hierzu muss man wissen, dass die Besetzung der Gremien bei Architektenwettbewerben, im Rahmen des öffentlichen Vergaberechts, Bauherrensache ist. Neben den Fachpreisrichtern (Architekten) sind hier auch als Sachpreisrichter (Stadträte, Vertreter der Bezirksausschüsse, usw.) verantwortliche Politiker jeder Couleur vertreten.

Eine Öffnung des Systems, um die Vielfalt qualifizierter Teilnehmer bei Wettbewerben zu erhöhen – insbesondere durch die Zulassung junger Büros – und auch offene, zweiphasige, damit effiziente Wettbewerbe mit wechselnden Büros zuzulassen, würden wir sehr begrüßen!

Wenn die Stadt zusätzlich schlankere Preisgerichte akzeptierte und einsetzte, die nicht nach Proporzkriterien und Berücksichtigung aller Interessensgruppen besetzt sind, würde dies zur Effizienz und Qualitätssteigerung in Hinblick auf die Ergebnisse beitragen.
Ein Großteil der bemängelten Durchschnittlichkeit entsteht nämlich oft durch jenen Konsens, der letztendlich notwendiger Weise politisch herbeigeführt werden muss, damit überhaupt gebaut werden kann.

Hochhäuser an der geeigneten Stelle – warum nicht!

Was sagen die Bezirksausschüsse und die künftigen Bewohner von nebenan dazu?

Hochhäuser, das wollte bis dato noch keiner! Wie so oft lässt sich diese Frage nur in Bezug zum Standort klären. Insgesamt gilt, um identitätsstiftende und vielschichtige Bauten zu schaffen, sind viele Faktoren maßgeblich. Qualität hat ihren Wert und ihren Preis, dieser Dialog muss mit den Bauherren geführt werden. Statten Sie die städtischen Wohnbaugesellschaften daher mit besseren finanziellen Mitteln aus. Gute gebaute Vorbilder helfen.

Ändern Sie die gängige Vergabepraxis – auch das würde die Vielfalt fördern!

Auch bei den gegenwärtigen Vergabeverfahren für öffentliche Auftraggeber gäbe es einiges zu verbessern. Das überwiegende Bauvolumen wird nämlich leider nicht über Wettbewerbe verhandelt. Als Beispiele hierfür wären die Vergabeverfahren der Schulbauoffensive zu nennen, die übrigens per Stadtratsbeschluss verfahrensbeschleunigt durchgeführt werden. Wie wird hier die Qualitätsdiskussion geführt?

Kleine und junge Büros haben heute kaum eine Chance, die geforderten Qualifizierungskriterien bei öffentlichen Vergabeverfahren zu erfüllen. Ursache dafür ist eine Auslegungspraxis der Verordnungen, die auf überwiegend quantitativen und nicht auf qualitativen Kriterien beruht. Wer eine ‚Leistungsschau durch Masse’ nicht bewerkstelligen kann – dem ist der Zugang zum freien Markt quasi verbaut.

Es würde der Stadt gut anstehen, wenn auch jungen Architekten durch die Teilnahme an Planungsverfahren Chancen eröffnet würden. Das kommt gelegentlich auch vor. Dass dies zu großen Erfolgen führen kann, zeigen in München nicht zuletzt die Olympiabauten oder die Herz Jesu Kirche. Beide Bauwerke würden in München fehlen, wenn die Wettbewerbe und die Auftragsvergabe nach den heutigen Bedingungen durchgeführt würden.

Also, ja es sollte sich dringend etwas ändern! Herr Pretzl – sehen Sie sich in der Pflicht?

Ob sich die Bürger Münchens mit Ihrer wachsenden Stadt versöhnen, dies liegt im Übrigen nicht nur an der Architektur, sondern viel mehr an den gesamten Rahmenbedingungen. Qualitätsvolle und abwechslungsreiche Architektur leistet hier immer einen wichtigen Beitrag. Kostengünstigen, qualitätsvollen und für jedermann bezahlbaren Wohnraum bereit zu stellen – das muss sich eine Stadt wie München auch leisten – wollen!

Mit besten Grüßen

Prof. Lydia Haack
Landesvorsitzende BDA Bayern

Übrigens: kennen Sie das Debattenformat des BDA Bayern? Unter www.bda-talk.de mehr zum Thema: Wohnungsbau heute – leidet die Qualität unter der Überfrachtung mit Standards und Normen. Wir freuen uns über einen breiten Diskurs!