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Leserbrief

1. März 2018

Als Reaktion auf den am 13. Februar 2018 erschienenen Artikel Wo bleibt die Fantasie? von Nina Bovensiepen in der Süddeutschen Zeitung reagierte Prof. Christiane Thalgott (Stadtbaurätin i.R. der Landeshauptstadt München) wie folgt mit einem Leserbrief:

Sehr geehrte Frau Bovensiepen,

es freut mich sehr, wenn Sie das Olympische Dorf als Lichtblick in der Münchner Architektur ansehen und hoffentlich nicht nur das ehemalige Frauendorf meinen, denn das ganze „Dorf“, das große ehemalige Männerdorf, wird zwar von den Bewohnern sehr geschätzt, sogar geliebt, aber von Außenstehenden sehr kritisch gesehen; vielleicht ist es aber das, was Sie als Sensation anderen Orts vermissen?

Ich habe schon oft ausländische Besucher durch den Ackermannbogen, durch die Bebauung auf der Theresienhöhe, durch die Parkstadt Schwabing oder durch die Messestadt Riem geführt, manches Haus ist Mittelmaß, manches aber auch sehr gelungen und sogar bemerkenswert. Die Grünflächen und Stadtplätze, die Spielplätze -auch die auf dem Dach z.B. am Ackermannbogen- werden oft besonders bewundert; da kann man sehr gut verweilen, das tun auch viele, haben Sie das wirklich nicht gesehen?
Kennen Sie das Haus von „FrauenWohnen“ in Riem, den Bewohnergarten am Ackermannbogen und dort die Genossenschaftsbauten oder die kleinen Atriumhäuser im Norden und Süden?

Ich führe Sie gerne einmal, und zeige Ihnen die besonderen Qualitäten in den von Ihnen so gering geschätzten Neubaugebieten. Es braucht Zeit bis die Quartiere fertig sind, die Strassenbäume größer und damit die Maßstäbe „eingewohnt“.

Natürlich wünscht man sich als Stadt München Bauherrschaften, die das Besondere wollen und selbst bei alltägliche Bauaufgaben im gefördertem Wohnungsbau ermöglichen, auch wenn es schnell und kostengünstig sein soll.
Da gibt es z.B. bei den städtischen Wohnungsbaugesellschaften GEWOFAG und GWG schöne Beispiele, eingefügt in Bestandsgebiete, aber auch andere Bauherren bemühen sich, wie man am Schwabinger Tor sehen kann.

Aber erstaunlicher Weise mögen unsere Bürgerinnen und Bürger auch gerne das ganz Normale, das aussieht wie überall; auch dafür könnte ich Ihnen ein verblüffendes Beispiel am Arnulfpark zeigen, die Presse und andere außenstehende Betrachter, auch aus der Politik, haben oft andere Maßstäbe. Über dieses Thema ist schon viel geschrieben und geklagt worden, ohne eine Lösung zu finden.

Und erlauben Sie noch ein Wort zum Mut: An der Bahnachse, an der Haltestelle Hirschgarten, gab es eine sehr exzellente, schöne und mutige Hochhausplanung, in einem Wettbewerb erarbeitet, die dann aber leider nach einer heftigen Bürgerdiskussion und einem Stadtratsvotum doch nicht realisiert wurde, weil man sie vom Nymphenburger Schloss Rondeel aus hätte sehen können. Ist das schon vergessen? Das Hochhaus an der Donnersberger Brücke an der Bahnachse sollte nicht alleine bleiben.

Der geforderte Mut ist dann im Einzelfall doch nicht so gewünscht, wie es sich in der Globalschelte aus der Politik anhört.
Auch der Streit um den Königshof am Stachus oder die Bebauung an Stelle des Parkhauses hinter den Kammerspielen zeigen, wie im Einzelfall dann doch oft das Traditionelle und nicht das Außergewöhnliche gewünscht wird.

Also, mein Angebot zu einer Führung durch die von Ihnen gescholtenen Neubaugebiete steht. Ich hoffe Sie mögen mal genauer hinschauen, um dann doch das vermisste Bemerkenswerte zu entdecken.

Gruß,
Christiane Thalgott