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Zum Tod von Klaus Kinold

21. April 2021

© Jan Thorn Prikker
© Jan Thorn Prikker
Klaus Kinold

Der Architekturfotograf Klaus Kinold hatte noch viele Pläne, bis zuletzt arbeitete er an seinen Projekten. Noch drei Tage vor seinem Tod am 21. März beendete er mit seiner langjährigen Assistentin Dagmar Zacher, die Winfried Nerdinger einmal „den guten Geist im Atelier Kinold“ genannt hat, den Entwurf einer neuen Publikation. Vorgesehen ist sie für seine Fotobuchreihe im Hirmer Verlag, in der bereits sechs Bände erschienen sind – wiederum gewidmet einem bedeutenden Architekten wie zuvor schon Egon Eiermann, Carlo Scarpa oder Rudolf Schwarz. Mit diesen selbst gestalteten Büchern zog der Fotograf ein Resümee seiner jahrzehntelangen Tätigkeit, als Quelle diente jeweils sein opulentes Archiv.

Klaus Kinold verstand sich als „klassischer“ Architekturfotograf. Was ist unter klassisch zu verstehen? Zunächst einmal, dass die Fotografie überwiegend schwarz-weiß auftritt. Zur Überraschung vieler, die sich Architektur nur noch in bunten Bildern vorstellen können, pflegen auch zeitgenössische Fotografen die bewährte Tradition – weil ihnen bewusst ist, dass solche Aufnahmen anders und viel intensiver gelesen werden. Das Auge des Betrachters wandert durch die Bilder und imaginiert dabei die „fehlenden“ Farben, ob einer besonderen Lichtsituation oder eines bestimmten Materials. Zum Zweiten bemüht sich die klassische Architekturfotografie um Objektivität. Deshalb vermeidet sie willkürliche oder verzerrte Perspektiven. Der Fotograf soll sich nicht selbst mit „spektakulären“ Ansichten in Szene setzen, sondern dem Betrachter den Charakter eines Gebäudes möglichst getreu vermitteln. Daraus folgt zum Dritten: Diese Fotografie will dem Architekten und seinem Bauwerk dienen.

Kein Wunder also, dass Klaus Kinold große Fotografen wie Albert Renger-Patzsch, Werner Mantz und Walker Evans zu seinen Vorbildern zählte. Wie seine Vorgänger pflegte er das schwarz-weiße Bild, wie diese fühlte er sich einer poetischen Sachlichkeit verpflichtet. Kinold, der nicht nur in ganz Europa als Auftragsfotograf gearbeitet, sondern außerdem internationale Fachzeitschriften für Architektur herausgegeben hat (etwa „KS Neues“ und „Bauen in Beton“), erwarb sich rasch den Ruf als herausragender Vertreter seines Metiers. Auf seinen Reisen begleiteten ihn häufig regionale Experten. In Belgien war es der Architekt, Hochschullehrer und Biennale-Kommissar Marc Dubois. Nach mehrjähriger Zusammenarbeit würdigte er Klaus Kinold als „Architekturfotografen von Weltformat“.

Von den meisten Kollegen unterschied ihn aber eines: Kinold war selber Architekt. 1939 in Essen geboren, studierte er an der Karlsruher Hochschule bei Egon Eiermann, jenem Meister des Stahlbaus, der seine Studenten zu Klarheit und Präzision führen wollte. Kinold ließ sich führen und kultivierte folgerichtig als lichtbildnerischer Autodidakt seine Haltung einer schnörkellosen Architekturfotografie. Sein inzwischen viel zitiertes Motto war: „Ich will Architektur zeigen, wie sie ist.“ Kinold hatte das Glück, in Europa und Nordamerika wichtige Bauten von allen Meisterarchitekten der Moderne fotografieren zu können: von Alvar Aalto wie von Frank Lloyd Wright, von Mies van der Rohe und Walter Gropius, von Louis Kahn, Le Corbusier und Jože Plečnik. Ein zweiter Schwerpunkt seiner Arbeit waren suggestiv wirkende Panoramabilder von Landschaften und Orten, die er ohne Auftrag geschaffen hat.

Kinold, der seit 1972 in München lebte und arbeitete, wusste aber auch die Leistungen von Architekten zu schätzen, die vornehmlich in Bayern gebaut haben. Ausführlich fotografierte er etwa Gebäude von Hans Busso von Busse, Eberhard Schunck und Werner Wirsing. Ganz zu schweigen von Karljosef Schattner, dessen Werk er in der Nachfolge von Sigrid Neubert akribisch dokumentiert hat. Eine besondere Faszination empfand er auch für Hans Döllgast, dessen Auseinandersetzung mit kriegszerstörten Münchner Bauten ihn schon in den achtziger Jahren beschäftigt hatte. Kinold betrachtete es deshalb als schöne Fügung, dass er 2019 mit Unterstützung der BDA Stiftung Bayern im Ingolstädter Kunstverein eine konzise Ausstellung zum Thema „Schöpferische Wiederherstellung“ zeigen konnte. Dabei setzte er das Dreigestirn Hans Döllgast, Karljosef Schattner und Josef Wiedemann ins Bild – mit dem kulturellen Appell, deren herausragende Werke möglichst unverfälscht zu erhalten.

Ein Höhepunkt für Kinold war 2009 die große Ausstellung des Architekturmuseums in der Pinakothek der Moderne, die ihm Winfried Nerdinger eingerichtet hatte. Dort konnte er die ganze Spannweite seiner Architekturfotografie zeigen, bis hin zu bereits historischen „Reisebildern“ aus der DDR und der Sowjetunion, die bei Exkursionen der TU München entstanden waren. Zu sehen war auch sein Interesse am modernen Kirchenbau, das im Prestel Verlag zu drei Büchern geführt hat.

Klaus Kinold hat im Lauf der Jahrzehnte ein umfangreiches, ja einmaliges Fotoarchiv geschaffen. Als Vermächtnis hat er hinterlassen, dass diese Sammlung auch künftig den Medien wie der Wissenschaft zugänglich sein soll. So wird das Atelier Kinold von Dagmar Zacher weitergeführt werden. Ein erstes Datum ist der 11. Juni: In der Münchner Galerie Walter Storms wird eine Ausstellung zu zwei Schlüsselwerken von Mies van der Rohe, dem Barcelona-Pavillon und der Villa Tugendhat, eröffnet werden.

Wolfgang Jean Stock
Architekturhistoriker, Journalist und Publizist