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Die Brisanz der Bodenfrage

5. Mai 2023

Ein Nachbericht von Wolfgang Jean Stock

Bis auf den letzten Platz besetzt war der PlanTreff in der Münchner Innenstadt, als Ende April bei einer Gemeinschaftsveranstaltung des BDA Bayern mit der Landeshauptstadt München über die „Bodenfrage“ diskutiert wurde. Das große Interesse war verständlich, weil die Zuhörerinnen und Zuhörer wussten, welche Brisanz das Thema hat. Es ist keine kühle Sachfrage, sondern schließt eine politische Dramatik ein, die nicht nur in München in einer überbordenden Bodenspekulation gipfelt. Den Rahmen des Podiumsgesprächs bildete die vorzügliche, an der Universität Kassel entstandene Wanderausstellung „Die Bodenfrage“ mit 36 Aspekten zum Klima, zur Ökonomie und zum Gemeinwohl (Publikation im Jovis Verlag). Eine zentrale These der Schau lautet: „Die Trennung von Grundeigentum und Nutzung verhindert Bodenspekulation.“

Die Diskussion kreiste um die Frage, welche Instrumente für eine gemeinwohlorientierte Bodenpolitik zur Verfügung stehen. Es ging um eine Bilanz der letzten Jahre – und die fiel ernüchternd aus. Dabei ist das Thema uralt. So wurde der Artikel 161 in der vom SPD-Juristen Wilhelm Hoegner entworfenen Bayerischen Verfassung aus dem Jahr 1946 zitiert: „Steigerungen des Bodenwertes, die ohne besonderen Arbeits- oder Kapitalaufwand des Eigentümers entstehen, sind für die Allgemeinheit nutzbar zu machen.“ Dieser Auftrag ist bis heute nicht erfüllt worden. Vor fünfzig Jahren legte der Bundesminister Hans-Jochen Vogel ein entsprechendes Gesetz vor, das dann im Bundesrat scheiterte. Und die derzeitige Bundesregierung wird nicht tätig werden, weil die FDP als Bremser wirkt: Ein „Trauerspiel“ nannte dies der Planer und frühere Münchner Stadtdirektor Stephan Reiß-Schmidt, weil „der Boden der Schlüssel der Entwicklung“ sei.

Kritisiert wurde auch die bayerische Staatsregierung, die ihr Landesentwicklungsprogramm grundlegend überarbeiten müsse. Allein die Kommunen sind aktiv, unter denen München seit langem ein Vorreiter ist. Doch die sozialgerechte Bodennutzung und Maßnahmen wie die Erhaltungssatzungen würden durch die ständig steigenden Bodenwerte konterkariert, beklagte die Münchner Stadtbaurätin Elisabeth Merk. Auf die Defizite kleiner Gemeinden beim Planungspersonal wies Michael Leidl hin, Architekt in Bad Birnbach und Mitglied im BDA-Landesvorstand. Während etwa in München auf 1.900 Einwohner ein Mitarbeiter des Planungsreferats komme, würden diese Aufgaben in Kommunen bis 4.000 Einwohner oft vom geschäftsleitenden Beamten mit erledigt. Immerhin aber gebe es positive Beispiele für engagierte und sachkundige Personen. Deren Problem bestehe darin, für ihre Vorschläge demokratische Mehrheiten zu gewinnen. Wir ergänzen: Erfolgreich beim Kampf für eine zeitgemäße Dorferneuerung waren beispielsweise die Bürgermeister im oberbayerischen Tyrlaching (Bauwelt 12.2021) und im schwäbischen Oy-Mittelberg (Bauwelt 9.2023), beide übrigens mit einer starken Bürgerbeteiligung.

Die Bodenfrage umfasst ja viele Einzelaspekte, vom Flächenfraß bis zur Mietervertreibung. Als „gute Nachricht“ verkündete Stephan Reiß-Schmidt, dass die Relevanz des Themas in den letzten Jahren zugenommen habe, nicht nur in den Kommunen, sondern auch in den zuständigen Verbänden. Die Realität zeigt jedoch eine andere Tendenz: So ist München nicht nur teuer geblieben, sondern für viele Menschen inzwischen „unerschwinglich“ (Süddeutsche Zeitung). Einen Tag nach der Diskussion gab es in der ZDF-Sendung von Markus Lanz eine wirklich gute Nachricht. Tim von Winning, der Ulmer Baubürgermeister, erläuterte in Gegenwart der Bundesbauministerin Klara Geywitz die in seiner Stadt seit langem verfolgte Bodenvorratspolitik mitsamt den kommunalen Auflagen, die Spekulation verhindern. In Ulm befinden sich derzeit 40 Prozent der Flächen im öffentlichen Eigentum. Andere europäische Großstädte sind noch vorbildlicher: In Wien sind es rund 60 Prozent, in Helsinki fast 80 Prozent.