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Nein zum Abbruch der Realschule in Vilsbiburg!

5. Dezember 2023

NEIN ZUM ABBRUCH DER REALSCHULE IN VILSBIBURG !

© Alexander Bernhard
© Alexander Bernhard
Innenraum von 2020, Realschule Vilsbiburg

Die Realschule in Vilsbiburg soll abgebrochen und durch einen Neubau ersetzt werden.

Im Bewusstsein unserer kulturellen Verantwortung betrachten wir dieses Gebäude zweifelsohne als schützenswerten Bestand, Zeitzeugnis und Baudenkmal.

Der Regensburger Architekt Josef Winkler hat in jungen Jahren den Wettbewerb mit seinem überzeugenden Entwurf gewonnen und die Schule 1967-69 realisiert. In unseren Augen ist dieser als Bildungsstätte der Demokratie konzipierte Schulbau bayrisches Kulturgut.
Die herausragende Qualität dieses Gebäudes wird auf den Fotos der Aula deutlich, die der Fotograf Alexander Bernhard 2020 aufgenommen hat.

Zutritt verweigert
Seit langem setzen sich Fachleute, Bürgerinnen und Bürger für den Erhalt des Bauwerks ein. Die öffentliche Diskussion zieht immer weitere Kreise. Zuletzt war eine Begehung der Realschule durch Architektinnen und Architekten, Tragwerksplanern, Eltern und ehemalige Lehrer, dem Obermeister der Bauinnung, Professorinnen und Professoren der Technischen Universität München (TUM) und der Ostbayerischen Technischen Hochschule Regensburg (OTH) geplant. Allerdings wurde der Gruppe, mit Verweis auf die fortgeschrittene Planung des Neubaus, der Zutritt durch Landrat Dreier verweigert.
Der Ausschluss einer interessierten (Fach) Öffentlichkeit von einem öffentlichen Ort macht uns Sorge.

Die Unterzeichnenden halten die Entscheidung, den Bestandsbau abzubrechen und durch einen Neubau zu ersetzen, für voreilig.

Folgende Argumente sprechen für eine Sanierung:

Sanierung günstiger als Neubau
Bei einer Verwendung des Bestandes ist zumindest der Rohbau schon vorhanden und bezahlt. Bei den derzeit stark steigenden Material- und Energiekosten am Bau ist eine solide Rohbausubstanz (hier in höchster Sichtbetonqualität!) die wirtschaftlichste Basis für einen Um- und Weiterbau.
Übrigens wird eine Schule mit Sichtbetonausführung in solcher herausragenden handwerklichen und architektonischen Qualität heutzutage und auch in Zukunft finanziell nie mehr erschwinglich sein. Hier besitzt Vilsbiburg ein unwiederbringliches, rares Zeitdokument der Sichtbetonära von 1960-1970.

Dass die Haustechnik und die dämmende Gebäudehülle von 1969 erneuert bzw. ertüchtigt werden müssen, ist unumstritten.
Auch eine Schadstoffsanierung ist bei solchen Gebäuden unumgänglich. Diese Kosten entstehen jedoch beim Erhalt ebenso wie beim Abriss: die schadstoffhaltigen Bauteile müssen vorab von Fachfirmen ausgebaut und entsorgt werden. Für die Generalsanierung ist damit schon ein großer Schritt getan. Auch die bestehenden Außenanlagen können bei einer Sanierung zum größten Teil erhalten werden.

Der BDA fordert dazu auf, eine vergleichende Kostenermittlung zu erstellen, wobei die Zielstellung für den Erhalt ein angemessen und wirtschaftlich modernisiertes Bestandsge-bäude sein soll.

CO2-Einsparung
Unabhängig vom kulturellen Wert verfügt die Gebäudesubstanz auch über einen enormen materiellen Wert. In einem bestehenden Rohbau stecken durchschnittlich 56 % der ge-samten aufgewendeten Energie für ein Gebäude während des Lebenszyklus. (Quelle: Broschüre „Mit Freude sanieren“, Bundesstiftung Baukultur)
Wird das Gebäude abgebrochen und entsorgt, geht auch die Herstellungsenergie endgültig verloren und ein Ersatzbau muss mit neuerlichem Energieeinsatz hergestellt werden.

Für die Realschule Vilsbiburg bedeutet das konkret:
Der Bestand und der geplante Neubau ergeben zusammen eine Masse von ca. 14.000 m³ bzw. 35.000 t Stahlbeton. Das sind über 2000 LKW-Ladungen, die unnötig bewegt bzw. beim Neubau auch noch produziert werden. Die Herstellungsenergie für diese Menge Stahlbeton generiert weit mehr als 4.000 Tonnen CO2. (Bei einer Annahme von 300kg CO2/m² Stahlbeton)
Zum Vergleich: Im Jahr 2021 lagen die energiebedingten CO2-Emissionen in Deutschland pro Kopf bei 8,09 t (Quelle: de.statista.com).

Bautätigkeit und Treibhausgasemissionen
Allein die weltweite Zementproduktion ist für 8 % des globalen Ausstoßes an Kohlendioxid verantwortlich, dreimal mehr als der gesamte Flugverkehr. Bezieht man alle Emissi-onsketten ein, hat der Gebäudebereich laut Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung 2021 einen Anteil von etwa 40 % an den Treibhausgasemissionen der Bundesrepublik. Und sehr viel Energieeinsatz für diese Produktion steckt als „graue Energie“ in unserem Baubestand. (Quelle: Broschüre „Mit Freude sanieren“, Bundesstiftung Baukultur)

Bis zum Jahr 2045 soll Deutschland Treibhausgasneutralität erreichen. Für das Jahr 2040 gilt bereits ein Minderungsziel von mindestens 88 %. Auf dem Weg dorthin sieht das Gesetz in den 2030er-Jahren konkrete jährliche Minderungsziele vor.
Ein Beschluss des Bundesverfassungsgerichts verpflichtet den Staat, aktiv vorzubeugen, so dass es in Zukunft nicht zu unverhältnismäßigen Einschränkungen der Freiheitsgrund-rechte der heute jüngeren Menschen kommt. (Quelle: Auszug aus der Internetseite der Bundesregierung: https://www.bundesregierung.de/breg-de/schwerpunkte/klimaschutz/klimaschutzgesetz-2021-1913672)

Pädagogische Konzepte im Bestand machbar – Vorbild Bestandserhaltung
Auch in bestehenden Schulen können pädagogische Konzepte hervorragend umgesetzt werden, Lernhauskonzepte sind im Bestand realisierbar.
Der pädagogische Ansatz, dass eine Schule als Zeitzeugnis auch Werte von Architekturgeschichte und Handwerk vermittelt, sollte hier ebenfalls berücksichtigt werden. Wollen wir unseren Kindern nur das neu Bauen vermitteln, keine Umbaukultur? Kein Sanieren? Kein Erkennen und Wahrnehmen von Baustilen, Epochen und Materialien? Kein ökologisches Bewusstsein?
Im Oktober fand an den bayerischen Schulen die jährliche „Woche der Gesundheit und Nachhaltigkeit“ statt! Schülerinnen und Schüler zeigen dabei durch kreative Ideen und Aktionen, wie Umweltschutz und ein nachhaltigerer Umgang mit den Ressourcen und Rohstoffen unserer Erde im Alltag funktionieren können. Der Umgang mit den Schulge-bäuden wäre ein naheliegendes und anschauliches Beispiel für nachhaltiges Denken und Handeln.

Schulbau der Bildungsreform (Kommentar von Prof. Dr.-Ing. Elke Nagel):
„Flankierend zur bundesdeutschen Bildungsreform ab 1968 manifestierte sich das neue pädagogische Konzept in gebauten Denk- und Lernräumen. Die Aula ist, wie in Vils-biburg, Zentrum und Herz der Schulen, alle anderen Funktionen gliedern sich organhaft an. Das Raumgefühl unterliegt der gezielten Auswahl der Materialien und Farben. Sicht-beton als Sinnbild des technischen Fortschritts und der Befreiung des formalen Denkens im reformpädagogischen Kontext bestimmt eine Reihe von Bildungsbauten aller Ausbil-dungsniveaus seit dem Ende der 1950er Jahre: von den experimentellen Fassaden- und Modulkonstruktion der Schulen von Günter Behnisch in Göppingen und Ulm bis hin zum 1969 geplanten expressiven Hörsaalgebäude der Universität Konstanz – mit unverkennbaren gestalterischen, materiellen und ideellen Parallelen zur Realschule Vilsbiburg. Denn Architekt Winkler verfolgt den gleichen Ansatz, wenn er in der Broschüre zur Eröffnung schreibt, dass die Schule nicht nur Wissen vermitteln, sondern zum mündigen Bürger ausbilden möge, ihre Architektur menschliche Begegnungen fördere und durch Ausgewo-genheit der Baumassen gleichermaßen Individualität und Zusammengehörigkeit erzeugt wird.“ (Quelle: Auszug aus Kommentar zu Bauten der Bildungsreform, Prof. Dr.-Ing. Elke Nagel, Professur für Architektur- und Baugeschichte, OTH Regensburg)

Bestandsanalyse veraltet
Inzwischen gibt es etliche gute Beispiele dafür, dass sich vorhandene, auch abgeschriebene Bausubstanz qualitätvoll sanieren und mit neuem Leben füllen lässt.
Themen wie energieeffizientes Heizen und Kühlen, moderne Medientechnik, Brandschutz oder Barrierefreiheit lassen sich hervorragend auch im Bestand umsetzen.

Die Untersuchung der bestehenden Realschule aus dem Jahre 2019 muss in Anbetracht folgender Punkte überarbeitet und ergänzt werden:

— der neuen Klimaschutzziele der Bundesregierung.

— der angespannten Haushaltslage in Bund, Ländern, Landkreisen und Kommunen.

— der Tatsache, dass in einer Bestandsschule mindestens ein Klassenzug mit Fachräumen und Allgemeinflächen barrierefrei gestaltet sein muss. (geregelt in der bayerischen Bauordnung, Art. 48) Das heißt, dass bei einer 8-zügigen Schule mindestens ein Achtel der Klassenräume barrierefrei erreichbar sein muss. Das ist auch in Vilsbiburg machbar und die Kosten für Barrierefreiheit und Inklusion, die auch in einem Neubau anfallen, sind eine nachhaltige Investition in die Zu-kunft.

Können wir es uns weiterhin leisten, Gebäude abzubrechen, nur, weil die Haustechnik veraltet oder Barrierefreiheit noch nicht gegeben ist?
Wann machen wir Ernst mit Dekarbonisierung und Klimaschutz?

Schaffen wir es nicht, absolut hochwertige Gebäude über einen Lebenszyklus von nicht einmal zwei Generationen zu erhalten?
Wird die neue Realschule für derzeit geschätzte 90 Mio. Euro in 50 Jahren wieder abgebrochen, weil dann die Haustechnik und Fenster veraltet sind?

Über 2.000 Unterschriften
Inzwischen wurde Ende Oktober vom BDA Kreisverband Regensburg-Niederbayern-Oberpfalz auf www.change.org die Petition Realschule Vilsbiburg: Sanieren statt Ab-brechen gestartet, um ein Stimmungsbild aus der Bevölkerung zu erhalten.
https://www.change.org/p/realschule-vilsbiburg-sanieren-statt-abbrechen?source_location=search

Derzeit haben sich über 2.000 Personen mit mehr als 70 Kommentaren der Resolution angeschlossen:

„Heutzutage bauen wir viel, vielleicht sogar mehr wie früher, aber wir hinterlassen nichts!“
Gerhard Polt zum Abbruch der Realschule in Vilsbiburg

„Die Kommunen und öffentlichen Ämter weigern sich, Gebäudebestand zu erhalten, entweder weil sie zu uninformiert, bzw. desinteressiert sind oder sich auf Architekten verlassen, die mehr Lust auf Neubauten als Renovierung haben! Ich unterstütze die Resolution mit Begeisterung und hoffe, dass die zuständigen Behörden die Wertschät-zung von Nachhaltigkeit durch den Erhalt „Grauer bzw. Goldener Bestandsenergie“ berücksichtigen!“
Hans Well, Musiker, zum Abbruch der Realschule in Vilsbiburg

Hiermit fordern wir, die Unterzeichnenden, die Realschule in Vilsbiburg aus den genannten Gründen zu erhalten!

Unterzeichnende:
Dr. Jörg Heiler, Landesvorsitzender BDA Bayern
Michael Kühnlein, Kreisvorsitzender, BDA Regensburg-Niederbayern-Oberpfalz

Prof. Dr. Andreas Putz
Professur für Neuere Baudenkmalpflege
TUM School of Engineering and Design
TUM Technische Universität München

Prof. Andreas Müsseler
Prodekan & PK-Vorsitzender BA / MAR
Fakultät Architektur
Professur für Entwerfen, Konstruieren und digital gestütztes Realisieren
Ostbayerische Technische Hochschule Regensburg

Prof. Dr.-Ing. Dietmar Kurapkat
Fakultät Architektur
Professur für Denkmalpflege und Bauforschung
Masterstudiengang Historische Bauforschung
Ostbayerische Technische Hochschule Regensburg

Prof. Dr.-Ing. Elke Nagel M.A.
OTH Regensburg
Fakultät Architektur
Professur für Architektur- und Baugeschichte
Wissenschaftliche Leitung Friedrich-Mielke-Institut für Scalalogie
Prüfungskommissionsvorsitzende MHB
Ostbayerische Technische Hochschule Regensburg

Raimund Fredlmeier
Obermeister der Bauinnung Landshut

Karl Sperk, 1. Vorsitzender
Architektur- und Kunst e.V. Landshut

Dr. Birgit Angerer
Stephanie Heyl
Elke Wendrich
Denkmalnetz Bayern
www.denkmalnetzbayern.de

Dr. Rudolf Neumaier, Geschäftsführer
Dr. Vinzenz Dufter, Fachbereich: Haus und Siedlung
Bayerischer Landesverein für Heimatpflege e.V.

Dipl.-Ing. Peter Cachola Schmal
Leitender Direktor DAM
Deutsches Architekturmuseum Frankfurt am Main

Dipl.-Ing. Oliver Elser
Kurator DAM
Deutsches Architekturmuseum Frankfurt am Main

Anna-Maria Mayerhofer
Kuratorische Assistenz und Recherche DAM
Deutsches Architekturmuseum Frankfurt am Main

Initiative SOS Brutalismus des DAM und der Wüstenrot Stiftung
https://www.sosbrutalism.org/cms/20133266

Presseberichte
>> BR Capriccio „Brutalismus: Realschule Vilsbiburg droht Abriss“ am 29.02.2024, um 22:45 Uhr
>> BR Abendschau „Brutaler Abriss?“ vom 19.12.2023